Eishockey-Jahrbuch 1992/93

Eishockey-Jahrbuch 92/93

Klaus-Peter Knospe

Offizielles Jahrbuch des Deutschen Eishockey-Bundes
in Zusammenarbeit mit der Redaktion des SPORT-Kurier

(c) 1992 Copress Verlag München, ISBN 3-7679-0397-0

Eishockey-Stadt Frankfurt:
Wie Goldgräber im Wilden Westen

Alles würde anders werden im Frankfurter Eishockey. Das war klar, nachdem das Präsidium der Eintracht Anfang 1991 den „Offenbarungseid“ geleistet und den Verzicht auf diese Sportart erklärt hatte. Sträfliche eigene Ignoranz gegenüber dieser Sparte und wohl auch Misswirtschaft innerhalb der Abteilung schienen den Chefs am Riederwald keine andere Wahl zu lassen.

Nur eine kurze Zeit blieb unklar. ob es im Frankfurter Eishockey überhaupt weitergehen würde. Aber es ging nicht nur weiter. Es wurde auch tatsächlich alles anders. Und das nicht nur ein wenig, sondern in einer Form und in einem Ausmaß, dass der neugegründete Frankfurter ESC „Die Löwen“ gleich im ersten Jahr seines Bestehens für viele zu einem nachahmenswerten, aber nicht erreichbaren Beispiel wurde.

Überraschen konnte diese Entwicklung nur. wer nicht an jenem 4Juli 1991 im Saal des Frankfurter Volksbildungsheims anwesend war. Schon bei der ersten Generalversammlung des erst wenige Woche alten Vereins herrschten eine Aufbruchstimmung und ein Pioniergeist, wie er vielleicht einmal die Goldgräber im Wilden Westen beseelt hatte. Knapp eintausend Mitglieder zählte der FESC damals - ein Jahr später waren es knapp 2000, und die „Löwen“ bezeichnen sich heute als größter reiner Eishockeyverein in Deutschland.

So sensationell wie die Entwicklung. in der Vereinsstruktur, so gradlinig verlief der sportliche Aufstieg, der freilich von offizieller Seile erst dann als abgeschlossen angesehen sein wird, wenn Frankfurt wieder Bundesligastadt ist. Dieses Ziel ist für 1994 ins Auge gefasst - eine Utopie bei seiner Bekanntgabe, die sich aber mehr und mehr einem realistischen Vorhaben nähert.

Es ist zwar keine Frankfurter Erfindung, dass sich in einer unteren Klasse im Eishockey unter günstigen Umständen besser leben lässt als oben. Doch die Maßstäbe, die die „Löwen“ gesetzt haben, sind neue und dürften in der Zukunft an kaum einem anderen Ort noch einmal zu wiederholen sein. Während der drei Monate in der viertklassigen Regionalliga und einer gleichlangen Zeit in der Oberliga, in die sie als einzige Regionalliga-Mannschaft über die Qualifikation den Sprung geschafft hatten, lebten die „Löwen“ wie Maden im Speck.

Von 1.500 Zuschauern pro Heimspiel waren sie in ihrer Planung ausgegangen. Tatsächlich kamen zu den 22 Heimspielen im Mittel 5570 Besucher. Bei den elf Spielen der Oberliga-Finalrunde waren es sogar 6200. Locker placierte sich der FESC mit diesen Werten in der für alle Eishockevereine geltenden Statistik im Vorderfeld, noch vor der Hälfte aller Erstligisten. Statistisch gesehen waren an jedem Spieltag in der Halle am Bornheimer Hang ebenso viele Menschen wie bei allen übrigen Nord-Oberligisten zusammen.

Der Erfolg, der sportliche und der beim Publikum, kam nicht von ungefähr. Natürlich hatte Frankfurts fünfjährige Bundesliga-Zugehörigkeit ein gutes Fundament abgegeben. Und als von Vorteil erwies sich auch, dass wesentliche Funktionsträger wie der Vorsitzende Walter Langela und sein Stellvertreter Bernhard Sturm aus der „Konkursmasse“ der Eintracht hervorgegangen waren. Sie und die meisten ihrer Mitstreiter besaßen den unbedingten Wollen, es „denen da oben“ zeigen und beweisen zu wollen.

Bernd Reisch, einem Marketing-Experten, gelang es sogar, das Eintracht-Präsidium auf wenigstens einem Gebiet in die Nähe der Unfähigkeit zu rücken. Ihm jedenfalls gelang es, Werbegelder in Millionenhöhe zu beschaffen. Dies hatte das Eintracht-Präsidium stets als Unmöglichkeit und darum als ersten Grund für die fehlende Existenzfähigkeit des Eishockeys im Großverein angesehen. Heute haben sich nicht weniger als 30 Firmen und Förderer im Sponsorenpool „Löwen-Club“ zusammen-gefunden. Die Zahl wächst, so dass der Verein für die jetzige Spielzeit in der Oberliga mit anvisiertem Zweitliga-Aufstieg ein Werbebudget von 1,8 Millionen Mark vorausgerechnet hat. Mit diesem Geld und den Vorauszahlungen für Dauerkarten wäre der für Oberliga-Verhältnisse exorbitante 5,1-Millionen-Haushall lange vor der ersten Sirene zu 8O Prozent gedeckt.

Apropos Dauerkarten: Die „Löwen“ hatten zehn Wochen vor dem ersten Punktspiel dieser Saison bereits 2200 davon verkauft, was den Verantwortlichen ebensoviel Vergnügen bereitete wie das Klagen bei der Eintracht, der Vorverkauf für die Fußballspiele laufe sehr schleppend. Schadenfreude ist die schönste Freude.

In anderer Beziehung allerdings hatte sich der Frankfurter ESC gern und erfolgreich an der ungeliebten Nachbarschaft

orientiert. Wie es einst Bernd Hölzenbein bei den Fußballern praktiziert hatte, so ließen sich auch die „Löwen“ bei der Zusammenstellung der ersten Mannschaft von dem Gedanken landsmannschaftlicher Verbundenheit leiten. Viele der jüngeren Spieler stammen aus dem Frankfurt-Nauheimer Raum, die meisten der erfahrenen, darunter Toni Forster, der erste „Löwen“-(Spieler-)Trainer brachten die Erinnerung an bessere Eintracht-Zeiten mit. Auch die Verpflichtung von Roger Nicholas als (Spieler-)Manager passte in dieses Schema, dessen Höhepunkt die Rückkehr von Trevor Erhardt war. Wie kein anderer Spieler steht der kleine torgefährliche Kanadier für die besten Jahre des Frankfurter Eishockeys.

Die damals begonnene Tendenz ließ sich vor dem zweiten Jahr nicht fortsetzen. Nicht mehr die Herkunft war entscheidend. einen klangvollen Namen und möglichst eine Bundesliga-Vergangenheit mussten die Neuzugänge haben. Spieler wie Tom Thornbury, „Mannix“ Wolf, Jason Hall stehen einem ehrgeizigen Oberligisten ja auch gut zu Gesicht. Und natürlich war Roger Nicholas einer der ersten, der sich nach Udo Kießlings Vertragsauflösung in Köln nach dessen Zukunftsplänen und der Möglichkeit eines Wechsels des Rekord-Nationalspielers vom Rhein an den Main erkundigte.

Viele Namhafte sind gekommen, nur einer hat den Verein verlassen. Aber auch das Wort von Jürgen Adams, der zukünftig seinem Beruf den Vorrang geben will, kann sehr gut herhalten, um die Situation bei den „Löwen“ zu charakterisieren: „Eine solche Mannschaft und einen solchen Verein hätte ich unter anderen Umständen nur verlassen, wenn man mich rausgeworfen hätte.“

Gerhard Simon